Was man im Leben wirklich braucht und warum ich wieder auf Schiene bin

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Da war’s aber lang ruhig hier am Blog.

Warum? Weil ich nur über Dinge bloggen kann, die ich auch wirklich lebe. Und weil’s hier um Achtsamkeit und Minimalismus geht, ich aber ganz viel Zeug kaufe, das ich nicht brauche, ich mehr Geld ausgebe, als ich habe und ich mehr als gelegentlich in Rage komme, wenn meine Kinder mal wieder meine Nerven strapazieren, hatte ich hier länger nichts zu schreiben.

Ich habe die Prinzipien des Minimalismus und der Achtsamkeit zwar verstanden, aber in meinem Bauch angekommen sind sie nicht.

Schnell kann sich etwas wieder ändern

Doch wie das Leben so spielt, kann sich das alles auch ganz schnell wieder ändern. Ich habe nämlich A. getroffen. Am Wiener Hauptbahnhof. Ich hatte mich dort als freiwillige Helferin bei „Train of Hope“ gemeldet. Ein Verein von ausschließlich freiwilligen HelferInnen, der am Wiener Hauptbahnhof die ankommenden Flüchtlinge „erstversorgt“, also zum Beispiel Essen verteilt, medizinische Hilfe anbietet, Kleidung zur Verfügung stellt oder dabei hilft Notschlafplätze zu finden.
Ich habe mich dort gemeldet, weil ich das Gefühl hatte, ich müsste mehr tun, als Geld spenden.

Mein Vater sagt immer: „Birgit, Du kannst nicht allen helfen“

Und ich denk mir: “Stimmt, aber vielleicht einem oder zwei”

Also bin ich zum Hauptbahnhof. Ein ungemütlicher Ort. Viel Beton und Wind. Menschen schlafen am Boden.

Und zugegeben, obwohl ich immer Offenheit predige, habe ich mich anfangs dort nicht wohlgefühlt. So viele fremde Menschen.

Ich hatte ein bisschen Angst.

Angst lässt uns komische Dinge denken.

Angst lässt Vorurteile gewinnen.

Angst macht Unterschiede.

„Angst mag keine Fremden, keine Menschen, die nicht so aussehen wie wir, die nicht so handeln wie wir“ (Seth Godin)

Angst hat man nur vor dem, was man nicht kennt.

Gleich neben meinem „Arbeitsplatz“ am Hauptbahnhof saß ein Mann mit seiner Tochter am Boden. Fast ohne Gepäck und von einer langen strapaziösen Reise (ohne Dusche) gezeichnet. Sagen wir mal so, wäre ich auf der Straße an ihm vorbei gegangen, hätte ich vielleicht ein paar Euro gegeben, wäre aber sicher rasch weiter gegangen. Aber hier am Bahnhof ist nicht die Straße, hier kommen die Menschen auf einen zu und erzählen ihre Geschichten, denn sie haben meistens sonst nichts mehr, das sie teilen können.

Und er teilte mit mir seine Geschichte: Er erzählte mir, dass er A. hieße, dass seine Frau verstorben war, dass er um sein Leben fliehen musste und nur seine Tochter auf die gefährliche Reise übers Meer hatte mitnehmen können. Seine beiden Söhne, nur vier und sechs Jahre alt, hatte er nicht mitnehmen können, sie waren alleine bei Verwandten zurückgeblieben, ohne Mutter und jetzt auch ohne Vater.

Er zeigte mir Fotos und Videos seiner Söhne.

Er weinte.

Ich weinte.

Vor A. hatte ich keine Angst mehr.

In dieser Nacht konnte ich kein Auge mehr zu machen. Ich habe auch zwei Söhne und ich habe Glück, sie sind bei mir.

Jetzt im Nachhinein schäme ich mich ein bisschen, dass die Angst so mächtig ist, so offen ich gerne wäre, auch ich hatte Vorurteile.

Aber ich bin froh, dass ich den Schritt gemacht habe, an den Bahnhof zu gehen und hinzuschauen, dass da Menschen sind, Menschen wie du und ich.

Inzwischen ist A. ein lieber Freund geworden. Ich habe ihm versucht zu helfen, so gut es ging. Viel hat er nicht gebraucht, eine Dusche, einen Nagelzwicker, einen Rasierer, Schuhe und Socken. Bei seinem größten Wunsch konnte ich ihm nicht helfen, seine Kinder bald wieder zu sehen. Aber ich habe ihm geholfen Informationen einzuholen und ich habe nie mehr Dankbarkeit gesehen, als er zu mir sagte: „Das ist alles was ich brauche, zu wissen, wie es weiter geht“

A. ist weiter gereist, aber ich bin froh ihn kennen gelernt zu haben und hoffe, dass irgendwann eine Nachricht kommt, dass seine Kinder bei ihm sind.

Helfer dringend benötigt

Ich helfe noch immer am Bahnhof mit. Obwohl sich ja vieles nach Spielfeld verlagert hat, ist noch immer viel zu tun. Und jedes Mal wenn ich den Bahnhof verlasse, kommt mir unser Leben so seltsam vor, so viele Menschen die leblose Dinge und „Zeug“ mehr wertschätzen, als Menschlichkeit und Hilfe. Ich sehe was wir alles haben, was wir nicht brauchen und trotzdem halten wir so fest daran, haben Angst etwas zu verlieren, Angst ein Stückchen von unserem „Kuchen“ abzugeben. Vielleicht wären wir aber ohne viel besser dran?

Es braucht so wenig, neben Lebensnotwendigen wie Essen und Kleidung, brauchen wir vor allem unsere Familien, unsere Freunde, vielleicht ab und zu jemanden, der uns weiterhilft, damit wir wissen, in welche Richtung wir müssen.

Die Prinzipien des Minimalismus sind jetzt endlich in meinem Bauch angekommen.

Refugees welcome!

 

Ich freue mich wieder da zu sein und hoffe, ihr lest wieder fleißig mit.

Alles Liebe,

Birgit

PS

Wer gerne spenden möchte, kann dies zum Beispiel an BloggerInnen für Flüchtlinge #bloggerfuerfluechtlinge oder an #TrainofHope und natürlich viele andere.

HelferInnen werden auch immer gebraucht:

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