Wie wir Kindern helfen können, mit ihren Gefühlen umzugehen (oder was ist Achtsamkeit)

ort der stille (1 von 1)

„Ich hab dir doch gesagt, ich weiß nicht, wie es geht!“, sagte mein Großer im verzweifelten Ton. Im Streit schreien sich meine Söhne an – laut – und meistens hauen sie sich auch. Dabei wünsche ich mir so sehr einen friedlichen Umgangston. „Wieso sagst du nichts, wieso haust du gleich?“

„Ich weiß nicht wie es geht“
Und genau so ist es, sie wissen einfach nicht, wie es geht. In schwierigen Situationen werden die Kinder von ihren Gefühlen übermannt, da gibt es keine großen Verhandlungen mehr, kein diplomatisches Geschick, kein „du bist doch der Vernünftigere“. Da übernehmen Wut, Zorn oder Enttäuschung das Sagen UND das Handeln.

Mit Gefühlen gut umgehen – für Kinder und Erwachsene schwer

Wenn wir uns ehrlich sind, uns Erwachsenen geht es doch genauso. Wie oft brüllen wir die Kinder an oder machen sonst irgendeine sinnlose Aktion, weil wir nicht mehr weiter wissen und sich vor lauter Stress, Wut und Hilflosigkeit unser Gehirn ausschaltet? Da hilft es nicht, zu Wissen, dass Brüllen absolut keinen Sinn macht, es hilft auch nicht genau zu wissen, wie armselig es ist unsere Kinder zu erpressen. Wir machen es einfach, weil wir nicht anders können.
Wir wissen in dem Moment nicht, wie es anders geht.
Und ist es jetzt so? Müssen wir uns damit abfinden? Was hilft uns Eltern und was hilft den Kinder unsere Gefühle so zu kontrollieren, dass wir vielleicht bessere Lösungen finden, als uns gegenseitig anzuschreien?

Ganz einfach: Achtsamkeit

Aber was ist Achtsamkeit?
Gleich vorweg: Achtsamkeit ist nichts esoterisches und kein geheimnisvoller Zauber, den nur wenige beherrschen. Achtsamkeit ist eine bestimmte Art der Aufmerksamkeit und gleichzeitig eine Beruhigungstechnik, die jede und jeder lernen kann.

„Achtsamkeit beinhaltet, auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen“ Jon Kabat-Zinn.

Achtsamkeit bedeutet, dass was wir gerade tun bewusst wahrzunehmen (also daneben nicht ins Handy schauen ;-)) und nicht nur wahrzunehmen, sondern das, was gerade ist, einfach so zu lassen – sein zu lassen. Es ist nicht gut oder schlecht, es ist einfach so. Punkt.
Dinge anzunehmen oder eben einfach „sein“ zu lassen hilft uns mit dem was wir wahrnehmen oder fühlen besser umzugehen ohne zu viel zu Grübeln, über Zukunft und Vergangenheit zu spekulieren oder uns in Tagträumen zu verlieren.

Und wozu brauchen wir jetzt Achtsamkeit? Für ein glückliches Leben

  • Achtsamkeit hilft uns dabei eingeübte (unschöne) Reaktionen auf anstrengende und belastende Situationen gegen gesunde Verhaltensmuster zu tauschen
  • Sie hilft uns dabei in schwierigen Situationen freundlich zu bleiben
  • und Raum für Ruhe zu finden.
  • Sie hilft uns dabei, „eine starke, stabile und sensible Aufmerksamkeit“ zu entwickeln und das ist wiederum die Grundlage emotionaler Intelligenz, also die Grundlage für die Entwicklung unserer sozialen und emotionalen Fähigkeiten.
  • Und ganz vereinfacht gesagt, je besser diese sozialen und emotionalen Fähigkeiten entwickelt sind, desto glücklicher ist unser Leben und das unserer Kinder.

Ein Beispiel:
Zu den emotionalen Fähigkeiten gehört unter anderem die Selbstregulierung. Mit ihr steuern wir zum Beispiel unsere Gefühle oder auch unsere Handlungen. Bei kleinen Kindern ist sie noch nicht so gut entwickelt, deswegen schlägt mein Kleiner gleich zu, wenn ihn was nervt, der Große brüllt wenigstens vorher noch und schlägt dann erst zu 😉 Aber auch für Erwachsene gilt, sind die Gefühle zu stark, wird die Selbstregulierung schwer geprüft, oft kann man eben nicht mehr über sein Handeln nachdenken. Schafft man es aber zwischen Reiz und Reaktion kurz Inne zu halten und sich sein Handeln noch einmal überlegen, dann kann uns das viel Ärger, Tränen & Schuldgefühle ersparen. Oder wie es Viktor Frankl einmal gesagt haben soll:

„Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum. In diesem Raum hat der Mensch die Freiheit und die Fähigkeit, seine Reaktion zu wählen. In diesen Entscheidungen liegen unser Wachstum und unser Glück“

Mit Achtsamkeit und üben, üben, üben können wir den Abstand vergrößern und immer bewusster handeln.

Und wie entwickelt man nun Achtsamkeit?

Wie schon gesagt, durch Üben. Das heißt hinsetzen oder legen, einatmen und ausatmen und seinen Atem beobachten. Das ist der Anfang und wird auch Achtsamkeitsmeditation genannt.
Ja, es ist eigentlich so einfach, jede/r kann es, aber es ist nicht immer so leicht sich konsequent hinzusetzen, und das Atmen zu üben. Ich versuche es inzwischen schon seit einigen Jahren und ich habe immer Phasen, wo es besser klappt und Phasen, in denen ich viele Ausreden habe. Das ist auch ein Grund, warum ich nur noch selten alleine übe, sondern jetzt mehr mit den Kindern. Wenn man nicht gleich Meditieren möchte, ist es ein guter Beginn, als Familie wieder bewusst Ruhezeiten und Stille zu schätzen, ein paar Rituale einzuführen und es gibt viele Übungen, die nicht gleich langes Sitzen voraussetzen und die man auch in den Alltag gut integrieren kann, so wie diese.

Abschließend möchte ich euch noch eine kleine Übung vorstellen. Ich habe sie aus dem Buch „emotionale Intelligenz für Kinder und Jugendliche“ und ich habe sie begonnen, als mein Sohn wieder einmal in einer Streitsituation zu mir sagte:

„Ich weiß nicht wie es geht“
„Das nächste mal, wenn du das Gefühl hast, du musst gleich schreien oder hinhauen, dann sag zu dir selbst:“
„Stop! Halt ein!“
„Schau dich um“
“Sag zu dir selbst: Bleib ruhig”
„Atme tief durch die Nase ein zähl dabei bis 5,  dann hälst du die Luft kurz an und zählst bis 2 und dann atmest du durch den Mund aus und zählst dabei wieder bis 5“
“Es wird nicht immer helfen, aber manchmal”
„Und übrigens mein Schatz, wenn ich wieder mal kurz davor bin laut zu werden, erinnere mich doch bitte daran, dass ich auch – stop, halt ein zu mir sagen muss“
Ich habe zwar noch nie gehört, dass die zwei es von selbst gesagt hätten, aber sie erinnern mich liebend gern daran und wenn sie gerade wieder wütend sind, erinnere ich sie und meistens sagen wir es dann alle fröhlich im Chor und die wütende Situation ist längst vergessen.

Ein lustiges Spiel.

Und vielleicht, irgendwann, wissen sie dann von selbst, wie es geht.